Freunde der alkoholfreien Speisebegleitung, sind in Berlin auf jeden Fall schon mal besser aufgehoben als in anderen Städten Deutschlands.
Denn hier gibt es immerhin drei Restaurants, die neben der klassischen Weinbegleitung eine kreative und überaus erwachsene Speisebegleitung anbieten. Das Horvárth (**), das einsunternull (*) und die Weinbar Rutz (*). „Da kann man nicht meckern“, würde der autochthone Berliner sagen. Allerdings – würde er ein „da geht noch was“ ergänzen. Aber wir wollen nicht undankbar sein.
Menschen, die sich für das Thema Temperence Pairing interessieren, kommen am Horvárth von Sebastian Frank aus Neusiedl am See nicht vorbei.
Es gäbe für einen Österreicher viele gute Gründe eine andere Stadt zu wählen als Berlin: die raue Berliner Art, die üppige gastronomische Konkurrenz, die allgegenwärtige Foodieszene…Und der Winter in Berlin ist auch nicht mehr das, was er mal war. Aber für Sebastian Frank scheint dieses Umfeld genau das richtige zu sein: 2010 (mit nur 29 Jahren): Küchenchef im Horvárth, 2011: 1. Michelin-Stern und „Koch des Jahres 2011“, 2012: 17 Punkte im Gault Millau – „Berlins kreativster Küchenchef“, 2014: Übernahme des Restaurant Horvárth zusammen mit seiner Frau Jeannine Kessler, 2015: 2. Michelin-Stern.
Im Horvárth gibt es keinen „dritten Mann“, der neben dem Chef in der Küche und Sommelier Jakob Petritsch für die alkoholfreie Begleitung zuständig wäre. Die Getränkebegleitung ist hier Chefsache.
Die Getränke im Horvárth haben jeweils unterschiedliche Jobs – manche liefern Säure, die dann einen Kontrapunkt zum Gericht setzt, andere suchen die Gemeinsamkeiten mit der Speise und wieder andere erfrischen und halten sich eher dezent im Hintergrund.
Ich bin gespannt – may the Games begin!
Beim Thema „alkoholfreier Apéritif“ ist auf der Getränkekarte (noch) eine Lücke – hier konnte mir Jakob Petritsch leider nichts Spezielles anbieten, ich wählte dann eine der wunderbaren Bergapfelsaft-Kreationen von Thomas Kohl: mit Apfelminze. Aber ein guter alkoholfreier Apéritif – das wäre was!
Der Auftakt/ was Flüssiges:
_Fleischaspik:
Flüssiges Aspik nach Louise Seleskowitz 1894 dazu ein pH-neutrales Alpenquellwasser vom Hochschwab.
Und wer war doch gleich Louise Seleskowitz? Sie war Kauffrau und Kochbuchautorin und hat DAS Standardwerk der österreichischen Küche verfasst: Wiener Küche.
Das flüssige Aspik entpuppt sich als eine sehr aromatische Knochenbrühe, die immer ein bisschen anders schmeckt je nach Marktlage. Die Zubereitung dauert 3 Tage, Kardamom und Sternanis sorgen für eher winterliche Aromen. Die kleine Bügelflasche mit dem Wasser von einer Quelle oberhalb von Wien ist hilfreich, denn die Brühe ist, was den Salzgehalt betrifft, eher am oberen Ende der Salz-Skala angesiedelt.
Dann ein Gruß aus dem Ofen: zwei noch warme Langosz (Hefeteig in Fett ausgebacken, mit Knoblauchwasser und Butter eingepinselt – ein ungarischer Snackklassiker), außerdem zwei kleine Roggensauerteigbrötchen und zwei Blutwurstweckerl, dazu aromatische Butter und Kartoffelstampf mit Salz und brauner Butter. Das allein könnte schon fast für ein üppiges Abendessen reichen. Jakob Petritsch, der Sommelier und Gastgeber sah mich vorsichtig essen (ich hatte ja noch acht Gänge vor mir) und sagte: „Gehört alles weg“. War dann auch weg. Es schmeckte einfach zu gut!
Überhaupt, Jakob Petritsch: alle meine Fragen (und es waren viele!) wurden ausführlich und mit großer Milde und Güte beantwortet, auch die noch so speziellen (z.B. „Wie lange liegt der Selleriesaft auf der Hefe?“).
Während ich mich noch über den Kartoffelstampf freute, den ich mit dem „Göffel“ esse, einem Zwitter aus Gabel und Löffel (kann man im Horvárth auch gleich kaufen, wenn man mag) folgte schon die nächste kleine Einstimmung:
_Rauch und Rahm
Hier handelt es sich um eine rote Bete vom Holzkohlengrill, geröstete Beteschalen, Sauerrahm mit Kümmel und dazu ein Tropfen Herbsttrompetenessiggelee. DAs war fein und sah sogar im aufgegessenen Zustand noch schön aus.
Aber jetzt der Grüße genug – der erste Gang:
#1_Sellerie reif und jung
Gedämpfter Knollensellerie / geröstete Selleriesaat / 12 Monate gereifter Sellerie aus dem Salzteig / legierte Hühnerbouillon.
Der gedämpfte Sellerie kam in kleinen Röllchen daher, dazu geröstete Selleriesaat, und – und jetzt kommt’s: Abrieb vom Sellerie im Salzteig! Hocharomatisch!
Der Knollensellerie wird im Salzteig gebacken (der hat 30% Salzgehalt), und reift dann in dem Salzteighülle für 12 Monate im Horvártschen Keller. Ab und zu mal wird er gewendet. Das Ergebnis: ein kompaktes salziges Selleriekonzentrat, hart wie ein Stein! Die Microplane hatte ihre Mühe. Dieses Selleriesalz auf dem gedämpften Sellerie setzt noch mal einen zusätzlichen Akzent.
Im Glas: Molke mit Leindotteröl, Honig und Kren.
Die Molke – mild, das Leindotteröl – aromatisch, der Honig – mild-süßlich und der Kren (Meerrettich) sorgt für eine leichte Schärfe. Eine gute und fruchtige Ergänzung zum Sellerie_hoch3!
Die Weinbegleitung hier übrigens auch hervorragend: ein Kéknyelű (Blaustengler), eine alte autochthone Rebsorte aus Ungarn (ich kannte sie nicht), ganz genau: ein 2009er Badacsonyi Kéknyelü aus dem Barrique. Von Huba Szeremley, am Balaton (nur dort wächst diese Rebsorte).
#2_Wintergemüse
Gedämpfter Kohl / gelierte Emulsion vom Champignon und Mandelöl / Kürbistrester mit Limette /Slushy vom rohen Kohlgemüse.
Hier handelt es sich um Variationen vom Kohl: auf einem gedämpften Wirsingblatt, einem Stück von einer gelierten Emulsion, die begleitet wurden von einer Limonade aus Sirup von der Agastache (Anis Ysop) und einem Trinkessig von der Chardonnaytraube, aromatisiert mit eingelegtem Salbei. Da war ziemlich was los im Glas – und in der Nase hatte ich einen Muffton. Aber Mutige vor – und der Dank ist eine wirklich gute Kombination, die gut gegenüber dem Kohl behauptet. Der kräutrige Trinkessig nimmt es gut mit dem warmen und dem kalten Kohl (Slushy) auf und die leichte Säure sorgt für einen guten Ausgleich. Ein Rest musste leider im Glas bleiben – pur ist diese Begleitung nicht so mein Geschmack. Aber in der Kombination mit der Speise eine wirklich gute Wahl!
Den Weintrinkern wurde zum Wintergemüse übrigens ein überaus fruchtiger Weißburgunder aus dem Stahlfass von Franz Pichler aus der Wachau serviert.
#3_Besoffener Stör
Gegrilltes Störfilet / Dörrpflaume aus 4-jährigem Rumtopf / emulgierte Entenreduktion / Triebe vom Stangensellerie mit Mandelöl.
Klingt auf dem Papier erst mal ungewöhnlich – ist aber dann eine gelungene Kombination!
Im Glas: ein Saft aus Äpfeln und Wurzelgemüse mit Röstgemüseöl. Hier muss ich mal ein bisschen ausholen. Die Basis einiger alkoholfreier Getränke im Horvárth ist ein selbst hergestellter Basissaft aus zwei Sorten Äpfeln, Karotten, Staudensellerie und Petersilienwurzel. Das Obst und Gemüse wird entsaftet und kurz auf 80 Grad erhitzt. Dieser Vorgang sorgt einerseits für eine gewisse Haltbarkeit (es werden rund 30 Liter pro Woche hergestellt) aber andererseits setzen sich durch dieses Vorgehen die festen Stoffe an der Oberfläche ab – nach dem Filtern bleibt ein klarer leichter und aromatischer Saft, der nicht sättigt. Das ist wichtig, denn „sonst sind die Gäste nach dem zweiten Gang satt“ sagte mir Sebastian Frank mal im Gespräch.
Diesem Saft wurde ein Öl von Röstgemüsen zugegeben. Hierfür wird Gemüse im Ofen geröstet, dieses Gemüse wird dann in Rapsöl eingelegt – und dann nach einer bestimmten Ziehzeit, durch ein Sieb gegeben. Das so entstandene Öl macht aus dem klaren Saft eine runde Sache. Tolle Kombination! Der fruchtig-aromatische Saft mit den leichten Röstaromen im Öl… Dieses Glas trinke ich aus!
#4_Porree und Bergkas
Gedünsteter Lauch / Grüner Veltliner Reduktion / Bergkäserindenöl / geräucherter Essigkohlrabi
Der Kohlrabi – knackig-säuerlich, der zarte Porree, darauf deutlich spürbaren Salzkristalle – sie sorgen für einen leichten Crunch. Dazu ein Bergkäserindenöl. Herr Petritsch konnte mir auch hier Auskunft geben: hierfür wird die Rinde von einem 36 Monate gereiften Allgäuer Bergkäse im zerkleinert (Thermomix) und zusammen mit dem milden Rapsöl auf 40 Grad erhitzt und dann abgeseiht. So entsteht ein Öl mit Umami und einem tollen Aroma.
Dazu ein Malzbier von der Berliner Kindl Brauerei mit einem Rubinette-Bergapfelsaft von Thomas Kohl aus Südtirol – dazu Zitronenzeste und Eiswürfel. Optisch erinnert der Glasinhalt an Mezzomix – aber geschmacklich wirklich mal was Besonderes! Ein bisschen stört eine nicht kleine Menge Zitronenzeste, die als kleiner „Berg“ auf dem Malzbierdrink thront. nicht geschmacklich, im Gegenteil, sie sorgt für die nötige Frische! Möglicherweise wäre ein Streifen einer Zitronenspirale, lässig am Glasrand platziert, wie beim Horse’s Neck eine Alternative. Der Saft mit guter Süße-Säure-Balance wird durch das Malzbier perfekt abgerundet – und so kann es diese Begleitung wirklich gut mit dem Gemüse, dem aromatischen Käserindenöl und dem Salzcrunch wunderbar aufnehmen. Wer das Getränk nachbauen möchte: das Verhältnis von Malzbier zu Saft beträgt 50:50.
Ausgetrunken!
Die Weinbegleitung: ein saftig-frischer Grüner Veltliner vom Weingut Zillinger aus dem Weinviertel. http://zillingerwein.at
#5_Tee Kamille mit Senf
Gebeizte Gurke / geeiste Möhre /aromatisiert, mit Tee Kamille / geröstete Senfsaat / Thymianzucker.
Gurkenstreife, zuvor mariniert in mit Kamillenblüten aromatisierter Molke, die Senfsaat sorgt für aromatisch-knusprige Aspekte, der Thymianzucker für einen süßen Moment. Schöner leichter Gang!
Dazu ein Sellerie-Sekt (Saft vom Stangensellerie reifte mit Hefe und Zucker drei Monate) und wurde dann mit einem Hauch Martini Bianco und Bitter Lemon aufgegossen, ein Blatt Minze war auch irgendwie beteiligt. Der Selleriesekt entwickelt durch die Arbeit mit der Hefe eine leichte Perlage (und einen minimalen Alkoholanteil). Gutes Getränk! Dies wäre auch ein guter Apéritif!
Jetzt – mein Hauptgang! Und hier zeigt sich die Stärke von Sebastian Franks Küche – mit großer Selbstverständlichkeit: ein Hauptgang ohne Fleisch. Und was für einer!
#6_Röstgemüse
In Butter gebratene Karotte /Röstcreme vom Wurzelgemüse / Rauchzwiebelmarmelade /Marinierte Petersillienwurzelherzen / Karotten-Kürbis-Gewürz
Ich bin sehr zufrieden: mit der buttrigen Karotte, dieser vor Röstaromen nur so strotzenden Créme. Die Petersilienwurzelherzen wurden in Milch mariniert- dazu die Rauchzwiebelmarmelade – und dann ein echtes Aha-Erlebnis: das Karotten-Kürbis-Gewürz!
Karotte und Kürbis werden zerkleinert, gedörrt und mit Pfeffer und Salz ergänzt. Eine hocharomatische Ergänzung dieses ohnehin schon vielschichtigen Gerichtes!
Dazu ein Radicchiosaft mit Holunderblütenöl (Holunderblüten wurden hierfür in Rapsöl eingelegt). Das Öl mindert die bitteren Aromen vom Radicchio – und macht diesen ungewöhnlichen Saft zu einem starken Partner der buttrig-aromatischen Karotte!
Wir nähern uns langsam dem Schluss – das Vordessert:
#7_Aubergine mit „Selleriekohle“
Gedämpfte Minz-Aubergine / Vinaigrette vom verkohlten Sellerie / Fichtenessig und kandierter Zitrone / geeister Schafsjoghurt mit Fichtenöl.
Ungewöhnliche Zubereitung der Aubergine, leicht und minzig – betreut mit der „Selleriekohle“, obendrauf eine Nocke vom Schafskäse – und dazu dieses tolle Fichtenöl!
Dazu eine Paprikareduktion mit Birnensoda, Minze und Eis. Für sich alleine – ein Getränk der eher originelleren Sorte – pur nicht so mein Geschmack. Zusammen mit der zarten Aubergine hingegen, macht die Paprika zusammen mit der Birne einen wirklich guten Job!
Die Weinbegleitung: ein Birnenschaumwein.
Ich bin ja eher der Desserttyp und würde eher auf einen Gang verzichten, als auf das Dessert. Daher war ich sehr gespannt auf
#8_Milchkakao
Milchespuma mit Doppelrahm, Milcheis, getrocknetem Milchschaum und Öl vom Kakaobohnenbruch
Das Dessert war gut, Spannung kam durch die verschiedenen Texturen auf: der knusprige Milchschaum, das kühle Eis, der leichte Espuma. Aber so richtig wollte der Funke hier nicht überspringen.
Dazu gab es Schwarzwurzelsaft, mit Dinkelmilch, mit einem Spritzer Zitrone und – Achtung: Erdbeerkernöl. ERDBEERKERNÖL! Ich habe mir davon ein paar Tropfen extra geben lassen (hatte ich schon erwähnt, dass Herr Petrisch sich großartig um mich gekümmert hat?). Schmeckt nach Erdbeere aber eben nicht süß. Ungewöhnlich und gut!
Erdbeerkernöl also. Von Franz Hartl aus Klosterneuburg. Da man ja für ein kleines Fläschchen den einen oder anderen Erdbeerkern braucht, stellt sich hier die Frage, wie das Öl gewonnen wird. Jetzt ein kleiner Ausflug in die Botanik, soviel Zeit muss sein. Die Erdbeerfrucht ist ja eine sogenannte Scheinfrucht und die „Erdbeerkerne“ sind die eigentlichen Früchte der Erdbeere, nämlich kleine Nüsse.
Wie es scheint, ist dieses Öl das Ergebnis eine wunderbare Weiterverwertung eines Abfallproduktes bei der Erdbeermarmeladenproduktion. Einige Marmeladenhersteller bieten die Marmelade mit Kernen an und andere eben ohne. Jetzt kommt Franz Hartl ins Spiel: er nimmt den Marmeladenherstellern den „Trester“ in Form der Erdbeerkerne ab und presst daraus dieses unglaublich aromatische grüne Öl.
So ganz unaufwändig scheint die Herstellung nicht zu sein, denn dieses Öl wird nur von Herrn Hartl hergestellt und das zu einem Preis eines mittleren Kleinwagens. Aber ich schweife ab.
Die Kombi aus der Milch-Trias und der Schwarzwurzelsaft-Dinkelmilch konnte nicht 100%ig überzeugen. Mir war das zu sehr „Ton-sur-Ton“. Möglicherweise wäre hier ein kalt ausgezogener Tee oder ein fruchtiger Cold Drip eine Alternative gewesen. Aber die Entdeckung des Erdbeerkernöls wiederum hat mich dann mit dem Dessert wieder versöhnt.
Die Weinbegleitung sah hier eine Beerenauslese aus Serbien vor. Die scheint sehr gut gewesen zu sein, wie mir das Paar am Nachbartisch versicherte. Wir kamen ins Gespräch, sie bedauerten mich ein bisschen und fragten mich direkt, ob ich aus gesundheitlichen Gründen keinen Wein trinken dürfe. Das Leben sei zu kurz für…Sie wissen schon.
5-10% der Gäste nehmen die Getränkebegleitung, sagt Sebastian Frank. Einige mischen auch – einige Gänge mit, andere ohne Alkohol. An diesem Abend war ich die Einzige. Aber ich hatte Spaß für drei!
Am Schluss dann noch eine originelle Kleinigkeit: schon seit längerem in der Heavy-Rotation im Horvárth: eine Praline aus Schweineblut und Nussbutter. Der Kopf trinkt mit. Schweineblut! Sieht aus wie ein Shot für Vampire, eine Hülle aus Stärke sorgt für die Schnapsglasanmutung. Süß-nussig mit leicht salzigen Anklängen- ein besonderer Abschluss eines besonderen Menüs!
Autorenküche. Eine schöne Bezeichung, die perfekt auf Sebastian Frank zutrifft. Die Handschrift? Keine geschwungene übertrieben opulente Kalligrafie, keine streberhafte Schönschrift, erst recht keine unlesbare Informatikerschrift. Sondern eine schön Lesbare mit großer Initiale. Und mit österreichischer Farbe: mit Kren und Weckerl und Kartoffelstampf.
P.S. Nettes Detail am Rande: zu jedem Gang bringt der Service ein kleines Kärtchen mit den Gerichten und einer kurzen Beschreibung. Am Ende dann ein kleines Filztäschchen, in denen die Karten verstaut werden können. Schön!
Restaurant Horvárth Paul Lincke-Ufer 44a 10999 Berlin